Schaufenster Art-Walk in Gerlingen

Dank der guten Zusammenarbeit von Mein Gerlingen mit der Stadt, den beteiligten Geschäften, Simone Vöhse und Ute Haselmaier von der Freien Kunstakademie Gerlingen (FKA) und deren KünstlerInnen war der Gerlinger Art-Walk ein toller Erfolg!

Gerlinger Schaufenster Art-Walk

Iris läuft nicht nur beim Kunst-Spaziergang



Hochbetagt und hochinteressant: Farbenfroh schaut Iris Apple aus ihren 101 Jahre alten wachen Augen durch ihre riesige Brille auf die Schulstraße. Porträtiert hat das wahrscheinlich älteste Model der Welt Caroline Kellermann, eine der KünstlerInnen, die sich am ersten Gerlinger Schaufenster-Art-Walk mit ihren Werken beteiligt haben. Wie 14 andere Gerlinger Geschäfte auch, hat Marle Optik seine Schaufenster in den Dienst der Kunst gestellt. Premiere hatte der Kunst-Spaziergang entlang der ausstellenden Geschäfte bei der Langen Einkaufs- und Kulturnacht. Mitte November ist der Art-Walk wiederholt worden.

Seit es die Lange Einkaufs- und Kulturnacht gibt, ist Kunst ein Teil davon. Doch habe man sie mehr ins Geschehen integrieren und nicht wie bisher an einem Ausstellungsort konzentrieren wollen, erzählt Cassandra Lorié vom Stadtmarketingverein Mein Gerlingen. Die Mitinhaberin von Der Hörakustiker führt den samstäglichen Art-Walk an und begrüßt die Gäste und die beteiligten KünstlerInnen auf dem Europa-Platz. Der Stadtmarketingverein habe die Idee vom Kunst-Spaziergang gemeinsam mit der Stadt, den beteiligten Geschäften, Simone Vöhse und Ute Haselmaier von der Freien Kunstakademie Gerlingen (FKA) und deren KünstlerInnen in die Tat umgesetzt. Letztere haben ihr Können an der FKA gelernt oder verfeinert. Das Event, hofft Lorié, soll sich möglichst dauerhaft in Gerlingen etablieren.

Stehenbleiben für die Kunst



Erste Kunststation ist der Weltladen. Ellen Raith-Kraak gehört seit mehr als 30 Jahren der KünstlerInnen-Gruppe ProArte an. Sie stellt die Arbeiten ihrer ProArte-Kollegin Martina Sieber-Bott vor. Inspiration für ihre Malerei beziehe die meist aus den Formen der Natur. Sie beginne ihre intensiv farbigen Werke häufig zeichnerisch, übermale sie mit Acrylfarben, einem Dialog nicht unähnlich. Ihre Technik kommt an: Drei Werke haben im Weltladen Käufer gefunden.

Falten sind was Schönes, findet Caroline Kellermann. Sie spricht vor ihrem bei Marle Augenoptik gezeigten expressiv-energiegeladenen Porträt der New Yorker Stil-Ikone Iris Apple über ihre Arbeit. „Ich finde, dass ältere Menschen oft eine tolle Ausstrahlung haben, viel spannender zu malen sind als junge Gesichter“, sagt sie. Mit Iris Apple hat sie ein kongeniales Model – und Modell - für ihre kräftig farbige Kunst gefunden. Zweimal hat sie die 101 Jahre alte Lady schon porträtiert und beide Bilder verkauft. Ein drittes Porträt in anderer Pose ist schon geplant: „Iris läuft“, sagt sie.

Music was his first love





Dritte Station des Spaziergangs ist das Schaufenster von Bischoff Raumausstattung & Betten. Auch Klaudia Kurz, aufgewachsen in einer Künstlerfamilie, hat sich der expressiven Malerei verschrieben und lotet gern Farbe aus. Ihr bevorzugtes Motiv seien Menschen und Tiere, erklärt sie ihren Zuhörern. Die scheinen sich zu fragen, welches Bild attraktiver ist: Das blauäugige Blumenmädchen oder doch der dunkelhäutige Musikfan mit Rollkragenpullover, grünem Armband und Kopfhörern auf den Ohren? Jürgen Bischoff kommentiert die Kunst im Geschäft seiner Familie: „Unsere Läden sind ja nicht nur zum Einkaufen da, sie gehören zum Leben und sollen auch ein Begegnungsraum in unserer Stadt sein.“

Kühlewein Mode in der Kirchstraße zeigt Werke von Marion Ulmschneider. „Auch mir sind intensive Farben wichtig“, erklärt die Künstlerin vor ihrem gelb-schwarzen abstrakten Werk, das ein Universum an Assoziationen eröffnet. Selbstgemachte Pigmente, Acryl und Kreide verbindet sie zu einem Kosmos aus Licht und Schatten, aus Fläche und Struktur.

Malerei zu Musik von Mark Knopfler



Die Arbeiten von Elisabeth Tosta bei mhs reisen gegenüber stellt Karin Kollischon vor. Tosta beschäftigt sich auch mit Ölmalerei, Urban Sketching und diversen Drucktechniken, doch die Aquarellmalerei sei bei ihr „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen. Wenngleich die Künstlerin häufig Fotos als Vorlagen nutzt, sorgt schon die „anarchische“ Aquarelltechnik für die nötige Abstraktion wie etwa bei ihrem hauchzarten Bild von der Stadtbahnendhaltestelle.

Gleich nebenan, in den Schaufenstern der BW Bank zeigt Irmgard Werner, seit 35 Jahren in unterschiedlichsten Kunstformen wie Kalligrafie, Malerei oder Radierung aktiv, kleine Ausschnitte aus ihrem Werk. „Meine Bilder haben alle eine Geschichte“, erklärt sie. Während in der Kirchstraße „Hitze“ das Thema ist, finden Fans von Mark Knopfler im Schaufenster der Hauptstraße ihre bildliche Umsetzung seiner Musik.



Ganz besonders vielfältig zeigt sich die Kunst in der Weinwelt Vino y Cultura, wo Kunst sowieso eine große Rolle spielt. Hier der handwerklich gemachte Rebensaft, dort Papierkunstwerke von Lia Vilahur und schließlich die Skulpturen aus unterschiedlichen Materialien von Manfred König. Seitdem er nicht mehr berufstätig ist, befasst er sich mit Zeichnung und Skulptur - und zeigt mit einigen seiner Werke, deren Holz passenderweise auch aus gerodeten Weinbergen stammt, dass die Natur immer noch die größte aller Künstlerinnen ist.

Wunderorte der Kultur

Buchgeschäfte sind schon per se Wunderorte der Kultur. In der Buchhandlung one sind mit der Kunst von Barbara Wochner-Göbel aus Horb zusätzlich archaisch und fast dreidimensional wirkende Strukturen eingezogen. Das hat viel mit Materialien (etwa Steine, Sedimente, Rinden, Marmormehle oder Leinölfirnis) zu tun, mit langer Trocknungszeit und dem Herausbrechen und Herausbürsten weiterer Strukturen. So entstehen auf den Kern verdichtete Landschaften voller Brüche und Risse.

Mit reduzierter Palette, häufig nur zweifarbig, arbeitet die aus der Bretagne stammende Aquarellistin Martine Wöhlk, die im Schuhgeschäft Gitte Sonntag ausstellt. Ihre Motive, erzählt sie, seien expressionistische Abstraktionen dessen, was sie fühlt und beobachtet.



Anne Lahnert ist Grafikdesignerin und freie Künstlerin. Ihre Leidenschaft gilt der Schrift- und Buchkunst. Ihre zarten, reduzierten kalligrafischen Papierarbeiten unterstreichen auf zurückhaltende Weise die Schönheit der Schmuckstücke von Kaja Garms in Kaja G. Schmuckgestaltung. „Am meisten beeindruckt hat mich beim Kunst-Spaziergang, dass die Organisatoren so oft passende Geschäfte für die jeweilige Kunst gefunden haben“, erklärt denn auch eine „Mitläuferin“.

Der Alltag skizziert

Die Urban-Sketching-Szene ist noch jung. Schade daher, dass die Kunst-Spaziergänger nicht mehr beurteilen können, wie gut Andreas Ujvaris urbane Skizzen in die Schaufenster des Herrenausstatters Royal Evolution und der Scheibenkleister Handyreparatur gepasst haben - die Bilder waren bereits abgehängt.

Regina Bunzel arbeitet „gern mit Rot, aber auch mal Schwarz-Weiß“ jedenfalls farbintensiv, wie sie vor ihren Werken bei Only Women erklärt. Im Atelier der Künstlerin in Filderstadt-Plattenhardt entstehen meist großformatige, abstrakte, farbintensive Bilder in Acryl und Mischtechnik, die von der Natur inspiriert sind.

Mit „Kariko“ sind die Werke von Karin Kollischon unterzeichnet, die im Schaufenster von Der Hörakustiker zu sehen sind: Schwebend leichte Radierungen und Aquarelle, die der Natur nachempfunden sind, sie aber nicht abbilden. Seit 2014 an der FKA aktiv, unternimmt sie auch Ausflüge in Zeichnung, Drucktechnik oder Acrylmalerei.



Mit einem Blick auf die farbintensiven Werke von Ellen Raith-Kraak im Baumarkt für Frauen geht der Art-Walk zu Ende. Zunächst war die Künstlerin aquarellistisch unterwegs, zurzeit beschäftigt sie sich gern mit Farbfeldmalerei in Acryl und lässt sich dabei von Landschaften, Wasser und Himmel inspirieren. Sie überlagert Acrylfarbe horizontal und vertikal so, dass sie ihren jeweiligen Emotionen entspricht. Cassandra Lorié bedankt sich bei den Gästen für die Aufmerksamkeit und bei den Künstlern und Hauptamtsleiterin Ulrike Hoffmann-Heer für die gute Zusammenarbeit bei der Organisation dieses kurzweiligen Ausflugs in die Welt von Farbe, Kontrast, Komposition und Können.

Bericht von Barbara Bross-Winkler