Mein Gerlingen guckt übern Gartenzaun

Die letzte Rose sitzt an einem lauen Spätsommerabend im Garten. Sie ist keine Blume, sie heißt nur so und sie gärtnert selbst. Songül, die letzte Rose, von Beruf Krankenschwester, hat in diesem unglaublichen Sommer viel in diesem unglaublichen Garten gearbeitet. Einem wundervollen, bestens bestückten Selbstversorgergarten.


Die letzte Rose und ihre Ernte


Feierabend. Songül Heubach-Koç genießt mit ihrer Mutter Hanife und ihren beiden Brüdern Ihsan, einem Industriemeister bei Bosch, und Mehmet, dem angehenden Betriebswirt, die Früchte der gemeinsamen Arbeit. Diese Früchte aufzuzählen ist gar nicht so leicht. Wer an dem Garten vorbeifährt – und das tun viele täglich -, der sieht, je nach Jahreszeit, schon von weitem riesige Sonnenblumen mit kiloschweren Blütenköpfen, erkennt Bohnenstangen, Beerensträucher, hier ein paar Maispflanzen, dort ein paar rote Flecken, wahrscheinlich Tomaten.

Songüls Mutter Hanife, die den Garten normalerweise gemeinsam mit Vater Ahmet beackert, steckte wegen Corona lange in der Türkei fest. Also machten sich Songül und ihr jüngster Bruder Mehmet an die Arbeit – Neuland für Mehmet, der heuer seine Leidenschaft fürs Garteln entdeckt hat.


Afrikanische Gurken am Grundgraben

Wen die Neugier übermannt und wer sich hineintraut in die zwischen Grundgraben, Autobahn und Industriegebiet eingekeilten Gärten, der entdeckt noch mehr: Zwiebeln und Knoblauch, Baumspinat und Physalis, afrikanische Gurken, Grünkohl, Süßkartoffeln - 30 Gemüsesorten insgesamt! Und trifft hier auf Menschen, die ganz real das tun, wovon viele von uns nur träumen. Sie bauen fast alles an, was man zum Leben braucht.

Hier fühlt man sich wie in einer Zeitmaschine, zurückversetzt in die Zeit der Großeltern, als unsere Gärten alle so ähnlich ausgesehen haben. Als noch fast jeder wusste, wie man Kartoffeln anhäufelt, Tomaten ausgeizt, Bohnen haltbar macht, Saatgut sammelt.


Blaue Kornblumen, weiße Kosmeen

Was für ein Traum! Was für eine Arbeit! Auf schmalen Wiesenwegen und Kunststoff-Bodengittern balanciert man vorsichtig vorbei an orangefarbenen und pinken Zinnien, gelben Strohblumen, weißen Kosmeen, blauen Kornblumen. Man duckt sich unter gigantischen Sonnenblumenköpfen, steigt vorsichtig über die wuchernden Ranken eines Feldes voller leuchtender Hokkaido-Kürbisse, entdeckt grüne Peperoni, lilafarbene Auberginen oder Taybeeren, hinter denen blaue Trauben prangen.

Zahllose Bohnenstangen zeigen dem Gemüse, wo es lang geht. Dazwischen zieren die kugeligen Blütenstände des Lauchs, die roten und gelben Stiele von Mangold. Hier gedeihen Kräuter und überall im Garten prangen unterschiedlich geformte und gefärbte Tomaten an ihrem Grün - Paradeiser, Paradiesäpfel.


Paradiesisch viele Paradeiser

Wer es mit Tomaten im Garten versucht und angesichts von Braunfäule und Co. enttäuscht aufgegeben hat, weiß, dass das mit den Paradeisern kein Selbstläufer ist. Samen von 15 unterschiedlichen alten Tomatensorten, darunter die riesige Ochsenherz, hat Songül Heubach-Koç heuer bestellt und angepflanzt. Mit großem Erfolg.

Nun sitzt sie mit ihrer Mutter im hinteren Teil des langgezogenen Gartens an einem runden Tischchen. Vor sich eine Dose voller frisch geernteter Himbeeren, daneben ein Spankörbchen und ein Plastikbehälter voller Wühlmausgift. Kein Paradies ohne kleine oder größere Probleme… Über neugierige Besucher wundert die Familie sich im Übrigen nicht. Kommt öfter mal vor, dass jemand in den Garten hineinruft oder plötzlich vor ihnen steht und wissen will, wie so viel Pracht entstehen kann.


Viel Arbeit, viel Glück

Erst vor vier, fünf Jahren hat die Familie den Garten gepachtet, der damals ziemlich heruntergekommen war. Vater Ahmet war 1970 alleine von einem Dorf am Schwarzen Meer nach Almanya gezogen, um hier den Lebensunterhalt für die wachsende Familie zu verdienen. Seine Frau hat zuhause in der Türkei die sechs Kinder alleine großgezogen, nebenher von früh bis spät die eigene kleine Landwirtschaft versorgt, die Kuh gemolken, Gemüse und Obst angebaut, Holz aus dem Wald herangeschleppt. Erst 1991 ist die ganze Familie nach Deutschland gekommen und nur zwei Töchter haben später in der Türkei geheiratet und sind dort geblieben.

Hanife Koç hat ihr Leben lang hart gearbeitet. Jetzt ist sie in Rente. Zurück aus der Türkei, kocht sie im Garten wieder für jene Familienmitglieder, die nach der Arbeit vorbeikommen, um zu essen und zu plaudern. Und der neugierigen Besucherin schmunzelnd zu erzählen, dass Songül tatsächlich zur „letzten Rose“ der Familie wurde. Auf drei Töchter folgten drei Söhne. Ziemlich viel Arbeit, ziemlich viel Glück!

Barbara Bross-Winkler